Redebeitrag zur Verabschiedung des S&D-Positionspapiers „Europäischer Bildungsraum: unsere Realität für 2025“

Petra Kammerevert, MdEP Bild: © FKPH

Die sozialdemokratische Fraktion im Europäischen Parlament hat heute ihr Positionspapier „Europäischer Bildungsraum: unsere Realität für 2025“ verabschiedet. Mit 16 Kernforderungen wollen wir die dringend notwendige Schaffung eines Europäischen Bildungsraums bis 2025 schneller vorantreiben sowie ein inklusivere und durchlässigere Bildungssysteme in Europa etablieren. Das Positionspapier wurde zusammen mit einem Brief an Kommissionspräsident von der Leyen versandt, in dem wir sowohl den aktualisierten Vorschlag für den langfristigen EU-Haushalt als auch den europäischen Wiederaufbauplan als bildungspolitisch rückwärtsgewandt kritisieren.

Dazu die SPD-Europaabgeordnete Petra Kammerevert, bildungspolitische Sprecherin der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament:

Liebe Genossinnen und Genossen,

kaum jemand erinnert sich noch daran, dass wir im November 2017 mit der Einführung der Säule sozialer Rechte ein weiteres politisches Ziel proklamiert haben, nämlich die Schaffung eines Europäischen Bildungsraums bis 2025. Das klingt abstrakt. Weniger diplomatisch formuliert war schon seinerzeit klar, dass uns die europaweite Sicherung sozialer Rechte nicht ohne größere gemeinschaftliche Anstrengungen im Bereich der Bildung gelingen würde. So wurden erste Maßnahmen im Frühjahr 2018 konkret, die aber letztlich vor allem höhere Schulbildung und Hochschule adressieren oder Werte beinhalteten. Dann kam die Europawahl und dann kam Corona. Die Covid19 Pandemie wirkt im Bereich der Bildung wie ein Brennglas und legt die vorhandenen Defizite schonungslos offen. Kinder und Jugendliche sind mit die größten Verlierer der Krise und die soziale Spaltung in der Bildung wird vertieft.

Viel ist also seit 2017 nicht passiert mehr und wenn wir das Zieldatum 2025 erreichen wollen, dann müssen jetzt schnell den schönen Worten auch Taten folgen.

Mit dem Euch vorliegenden Papier wollen wir nicht weniger Tun als endlich an dem wichtigen Ziel des europäischen Bildungsraumes konzentriert weiterzuarbeiten und Bildung erneut in den Mittelpunkt sozialdemokratischer Politik zu stellen und dies ganz bewusst auch europäisch. Es muss uns endlich wieder gelingen das alte Versprechen der Sozialdemokratie „Aufstieg durch Bildung“ mit Leben zu erfüllen und europaweit durchzusetzen. Wir müssen vor allem von der frühkindlichen bis zur mittleren Bildung und in der beruflichen Aus- und Weiterbildung flächendeckend in Europa die Angebote aufwerten, ohne dabei das Erreichte in höherer Bildung oder Hochschule  zu gefährden. Das Lernen und Lehren echte Chancen und Perspektiven eröffnet und jeder, der dies will, sie ergreifen kann, ist meines Erachtens die größte Gerechtigkeitsfrage, die wir in der EU beantworten müssen. Seit Jahrzehnten hören wir uns Reden an wie wichtig doch Bildung sei und dann kommt viel Konjunktiv. Die Forderung, 10 % des Bruttoinlandsprodukts in Bildung zu investieren, ist nicht neu, wir schieben sie nur viel zu oft bei Seite, weil augenscheinlich Anderes gerade wichtiger ist. Aber: Bildung hilft gegen Hass, lässt Verständnis bei jedem Einzelnen für notwendiges ökologischeres Handeln wachsen, führt fast nebenbei zur Erkenntnis, dass nicht jeder Blödsinn der im Netz steht ernst zu nehmen ist, lässt kritisches Hinterfragen statt dumpfes Nachgrölen zu. Ich möchte hiermit nur verdeutlichen, dass unsere Ideen und Konzepte in vielen Politikbereichen einfacher zu erreichen könnten, wenn es uns wieder gelingt, jeden zu befähigen zumindest verstehen zu können warum wir wie politisch handeln. Ja, ich behaupte, dass unsere Versäumnisse in der Bildung so groß sind, dass eine zu große Zahl an Menschen gar nicht mehr in der Lage ist, Zusammenhänge und Fakten so einzuordnen, dass sie verstehen können was wir tun. Die ehrliche Antwort auf so manche Frustentladung in jüngster Zeit darf nicht „Sie verstehen es nicht“ lauten, sondern „Wir haben ihnen nicht ausreichend die Chance gegeben überhaupt verstehen zu können.“

Den gesellschaftlichen Abriss, den wir beobachten bekommen wir nur mittels einer erheblichen gemeinsamen Kraftanstrengung zu Gunsten besserer Bildung für alle geheilt. Weiter reflexartig „Subsidiarität“ zu rufen wird uns nicht mehr weiterhelfen.

Ein beitragsfreier Kindergarten von Anfang an, die Implementierung moderner Bildungskonzepte unter zielgerichteter Ausnutzung der Möglichkeiten der digitalen Welt müssen endlich realisiert werden. Ebenso muss vordringlich die berufliche Aus- und Weiterbildung in ihrem Ruf genauso wie in der Qualität und der auf sie aufbauenden Karrieremöglichkeiten den stärksten Schub erfahren. Weitere und früheren Anstrengungen beim Spracherwerb sind der Schlüssel um die seit Jahren geforderte Mobilität junger Menschen nicht nur auf Abiturienten und Studierende zu beschränken. Auch eine weitestgehende automatische Anerkennung von Bildungswesen- und Berufsabschlüssen sind ein Schlüssel zu mehr Mobilität.

Was wir hier heute verabschieden verfolgt einen anderen Ansatz als er bisher bei Frau von der Leyen durchschien. Ein Abitur für alle ist ein zu einfacher Weg, geht völlig an den Bedürfnissen vieler junger Menschen vorbei und verschärft den Eindruck nur mit Abitur ließe sich das weitere Leben bewerkstelligen. Wir müssen endlich aufhören, Abitur und Studium als das allein seeligmachende anzusehen. Der überall in Europa zu beklagende Fachkräftemangel in nicht-akademischen Bereichen zwingt uns schon allein ökonomisch dazu.

Wenn jemand nach der mittleren Reife einen Beruf erlernt, muss ihm dies ebenso einen Zugang zu Weiterbildung und Hochschulen eröffnen, wie es das Abitur tut. Anderenfalls ist man sonst im Alter von 14 oder 16 bereits das erste Mal stigmatisiert. Zudem brauchen wie gut ausgebildete und auf einer globaler und digitalen werdenden Welt gut vorbereitete Arbeitnehmer. Das setzt hoch motiviertes und bestens ausgebildetes Bildungspersonal in der Schule genauso wie in der Berufsschule voraus.

Was nützen uns 20 Hochschulabsolventen, von denen niemand weiß, wie man ein Haus am Ende baut, eine Kuh melkt, eine Wasserleitung oder ein Auto repariert. Wir müssen endlich das Stigma überwinden „Arzt gut – Maurer schlecht“. Beide sind gleich wichtig und deren gute Ausbildung soll uns also auch gleich viel wert sein und sie soll auch gleichermaßen Spaß machen und motivieren.

Lasst uns schließlich auch den Mut haben unsere Forderung, die Mittel für ERASMUS + zu verdreifachen aufrecht zu erhalten. Die Verdreifachung klingt immer so riesig. Wir unterhalten uns über den politischen Willen, Mittel aus dem MFF um nicht einmal 0,1 % zu verschieben. Das sollte uns NextGenerationEU doch wert sein.

Daher wird das Papier begleitet von einem Brief an Rat und Kommission, indem wir unsere Forderungen sowohl für den MFF wie auch für den Recovery-Plan nochmal verdeutlichen und auch klar machen, dass wir uns von der Kommission nicht für dumm verkaufen lassen.

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